Karotte, Wurzel, Möhre
Warum gibt es so viele unterschiedliche Namen für diese eine Pflanze?
Dass Deutschland nicht einfach nur eine homogene Masse ist, sondern sich aus vielen unterschiedlichen Gebieten mit jeweils eigenem kulturellen und sprachlichen Hintergrund zusammensetzt, merkt man oftmals an Kleinigkeiten. Hierzu zählen beispielsweise die vielfältigen Namen, die ein und dieselbe Pflanze in verschiedenen Ecken der Bundesrepublik aufweist. Ein bekanntes Beispiel dafür ist ein beliebtes Gemüse aus der Familie der Doldenblütler, das auf den lateinischen Namen Daucus carota sativus hört und in der Küche einen wichtigen Platz einnimmt. Die Bezeichnung für dieses orangefarbene Gemüse variiert allerdings von Region zu Region:
Für mich als gebürtige Nordfriesin heißt es eindeutig „Wurzel“ und an dieser Bezeichnung werde ich festhalten (trotz fieser Kommentare und Unverständnis seitens diverser Menschen mit anderem innerdeutschen Migrationshintergrund). Weitere (und ich gebe es zu, etwas verbreitetere) Benennungen sind „Gelbe Rübe“, „Karotte“, „Mohrrübe“ oder „Möhre“. Doch wer benutzt welchen Namen? Wieso eigentlich? Und gibt es eine „richtige“ Bezeichnung?
Regionale Unterschiede
Der Sprachgebrauch verschiedener Varianten lässt sich geographisch grob unterteilen, wobei selbstverständlich die Grenzen fließend sind und auch andere Bezeichnungen in den jeweiligen Gebieten benutzt werden:
Während man im Süden (u. a. in Bayern und Baden-Württemberg) Gelbe Rübe verwendet, findet sich die Bezeichnung Karotte in Österreich, Südtirol und dem ehemals kurpfälzischen Gebiet. Interessanterweise hat sich „Karotte“ in den letzten Jahren immer weiter auch in anderen Gebieten Deutschlands verbreitet. Möhre ist im Westen und Mittelosten gebräuchlich, wohingegen die Mohrrübe im Nordosten zu Hause ist. Mit Wurzel wird das Gemüse im äußersten Norden und Nordwesten benannt.
In Liechtenstein und in der Schweiz findet sich zudem die (für meine norddeutschen Ohren unglaublich niedlich klingende) Bezeichnung Rübli.
Sprachgeschichte – wie fing alles an und wo geht die Reise hin?
Werfen wir nun einen (kurzen, ich verspreche es) Blick in die Sprachgeschichte:
„Karotte“ stammt vom lateinischen Wort „carota“ ab (ähnlich wie das englische „carrot“, das französische „carotte“ oder das italienische „carota“). „Karotte“ ist dabei aus sprachgeschichtlicher Sicht ein ziemlicher Jungspund, schließlich fand das Wort erst im 16. Jahrhundert seinen Weg in die deutsche Sprache. Die anderen Begriffe lassen sich hingegen auf indoeuropäische Wortstämme zurückführen.
„Möhre“ hat seinen Ursprung beispielsweise in dem althochdeutschen Wort „mor(a)ha“ sowie dem spätmittelhochdeutschen „mörhe“ und ist damit seit dem 10. Jahrhundert belegt, außerdem fallen nicht von der Hand zu weisende Ähnlichkeiten mit dem russischen „morkov“ auf. Zudem ist in „Möhre“, wie auch in anderen germanischen und slawischen Sprachen, ein Wortbestandteil enthalten, der für „Wurzel“ stehen könnte.
Die Bezeichnungen „Möhre“ und „Karotte“ sind, wie bereits erwähnt, zurzeit auf dem Vormarsch und verdrängen langsam aber sicher die anderen Varianten. Dies sieht man z. B. daran, dass sich diese beiden Begriffe fast ausschließlich auf Produktbezeichnungen finden.
Ich muss jetzt sehr stark sein, denn ein besonderes Opfer des Verdrängungskampfes ist die Bezeichnung „Wurzel“, die langsam zurückgeht. Während sie vor 40 Jahren noch in ganz Mecklenburg-Vorpommern und im gesamten Nordwesten verwendet wurde, wird sie heute nur noch auf der Hälfte des früheren Gebietes benutzt, und zwar in jenen Gegenden, in denen heute noch Niederdeutsch gesprochen wird. Stattdessen wird dort jetzt das Wort „Mohrrübe“/„Möhre“ viel gebraucht. Dabei hat die „Wurzel“ viele Sprachfreunde, im Niederländischen z. B. „wortel“, im Nordfriesischen „wochel“, im Saterfriesischen „wuttel“ und sogar im Indonesischen (ebenfalls „wortel“).
Hochinteressant ist auch die „Gelbe Rübe“, die es in einigen dialektalen Ausprägungen gibt. So heißt sie auf Bayrisch etwa „Gelbe Ruam“ bzw. „Gejbe Ruam“, auf Pfälzisch „Gelleriewe“ und im Badischen „Gelleriebe“. „Warum eigentlich gelb und nicht orange?“, könnte man sich fragen (also, hab ich mich zumindest gefragt). Vermutlich lag es daran, dass in Deutschland seit dem 16. Jahrhundert hauptsächlich gelbe Möhren angebaut wurden und die orangefarbigen Möhren, die wir heute kennen, erst später kamen, als sich der Name „Gelbe Rübe“ bereits etabliert hatte.
Ist eine Bezeichnung „richtiger“ als die anderen?
Der Lokalpatriot in mir ruft laut und deutlich: „Natürlich! ‚Wurzel‘ ist die einzig richtige Bezeichnung, schließlich nutzt man von der Pflanze nur die Wurzel!“ Der erwachsene Sprachwissenschaftler hingegen erkennt alle Varianten als gut und richtig an. Auch die Bibel (also der Duden) kennt sowohl Wurzel, Gelbe Rübe, Karotte, Mohrrübe als auch Möhre und sogar das putzige Rübli.
Bei einem Blick auf die Sprachen weltweit lässt sich ebenfalls kein Trend ablesen, im Gegenteil, es gibt sehr viele sehr unterschiedliche Bezeichnungen: So heißt das Gemüse im Tschechischen z. B. „mrkev“, im Dänischen „gulerod“ (übrigens „güllerröll“ ausgesprochen, falls es Sie interessiert) und im Finnischen „porkkana“.
Es ist also egal, wie Sie das Gemüse nun nennen. Keine Bezeichnung ist falsch, und lecker und gesund ist es in jedem Fall.
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* „Der Unterschied zwischen dem beinahe richtigen Wort und dem richtigen ist derselbe wie zwischen einem Glühwürmchen und einem Blitz“ – Mark Twain