Diverses | Grammatik

Warum spre­chen wir Hoch­deutsch?

Wie Hochdeutsch zum Standarddeutschen wurde

Sarah Christiansen
11 Feb., 2025
Wie kommt es, dass Hochdeutsch so klingt, wie es klingt – und nicht etwa Plattdeutsch oder gar Bairisch die Sprachnorm sind, an der wir uns alle orientieren? Wer hat überhaupt festgelegt, dass Hochdeutsch das „richtige“ Deutsch ist? Und spricht man in Hannover wirklich das beste Hochdeutsch?
Bei so vielen Fragen zu diesem Thema wird es Zeit, der Sache einmal auf den Grund zu gehen.

Was versteht man unter Hochdeutsch?

Wenn wir den Begriff „Hochdeutsch“ hören, denken die meisten von uns an die „deutsche Hochsprache“, also das Deutsch, welches ohne Dialekt gesprochen wird. Ursprünglich bedeutete Hochdeutsch allerdings etwas anderes. Es war ein Oberbegriff für süd- und mitteldeutsche Dialekte und stand im Gegensatz zum Niederdeutschen, das im Norden gesprochen wird. Die Begriffe Hoch- bzw. Niederdeutsch beziehen sich dabei auf die Gegenden, in denen Dialekte jeweils zuhause sind: Hochdeutsch in den bergigen Regionen und Niederdeutsch in der Tiefebene. Die sogenannte Benrather Linie bildet dabei gewissermaßen die Grenze zwischen Hoch- und Niederdeutsch. Sie verläuft von Aachen nach Frankfurt/Oder, u. a. über Düsseldorf, Kassel und Berlin. Ähnlich wie der „Lakritz-Äquator“ teilt sie Deutschland ungefähr in der Mitte. Um Verwirrung zu vermeiden, bezeichnet die Sprachwissenschaft deshalb das dialektfreie Deutsch meist einfach als „Standarddeutsch“.

Was ist denn nun ein Dialekt?

Dialekte sind regionale Sprachvarianten, die sich vom Standarddeutschen (bzw. Hochdeutschen) etwa im Wortschatz und der Aussprache unterscheiden. Typische Dialekte sind z. B. Schwäbisch, Hessisch oder Sächsisch. In Deutschland gibt es unzählige Dialekte, die von der Sprachwissenschaft zu zwanzig größeren Dialektverbänden zusammengefasst werden. Außerdem werden drei große Sprachräume unterschieden: Der Niederdeutsche Sprachraum im Norden ist die Heimat z. B. von Holsteinisch oder Ostfriesisch, der Mitteldeutsche Sprachraum umfasst u. a. Hessisch und Thüringisch und der Oberdeutsche Sprachraum beispielsweise Fränkisch oder Alemannisch.

Wie wurde Hochdeutsch zum Standarddeutschen?

Um zu verstehen, wie sich Hochdeutsch entwickelt hat, hilft ein kleiner Blick in die Geschichte: Lange Zeit bestand Deutschland aus einer Ansammlung vieler verschiedener Fürstentümer, die mehr oder weniger unabhängig voneinander agierten – um 1650 waren es beispielsweise etwa 360. Entsprechend vielfältig waren auch die Dialekte, denn eine einheitliche Hochsprache gab es nicht. Die Schriftsprache war Latein, darüber hinaus war Latein auch die gemeinsame Sprache, die in ganz Europa verstanden wurde und mithilfe derer sich die europäischen Nachbarn untereinander austauschen konnten. Deutsch galt als Sprache des einfachen Volkes. Mit der Zeit wurde Deutsch aber auch als Schriftsprache immer beliebter, u. a. bedingt durch den wachsenden Handel und die Erfindung des modernen Buchdrucks durch Gutenberg im 15. Jahrhundert. Eine entscheidende Rolle spielte dann der Reformator Martin Luther, als er im 16. Jahrhundert die Bibel (u. a. aus dem Altgriechischen und Althebräischen) ins Deutsche übersetzte. Er legte dabei Wert darauf, ein „gemeinsames Deutsch“ zu verwenden, das von allen verstanden werden sollte. Grundlage war insbesondere das Ostmitteldeutsche (wird heute hauptsächlich in Thüringen, Sachsen und dem südlichen Sachsen-Anhalt gesprochen). Seine Bibelübersetzung hatte einen großen Einfluss auf die Normierung der deutschen Sprache, denn sie verbreitete sich schnell: So soll 1533 bereits jeder zehnte Haushalt in Deutschland ein von Luther übersetztes Neues Testament besessen haben. Im 18. Jahrhundert verfasste Johann Christoph Gottsched, ein wichtiger Kopf der deutschen Aufklärung, seine „Grundlegung einer deutschen Sprachkunst“: eine deutsche Grammatik, die sich rasch verbreitete und insbesondere bei den Gelehrten der damaligen Zeit großen Anklang fand. Er erklärte das Obersächsische (das zum Ostmitteldeutschen gehört) zum sprachlichen Vorbild eines Standarddeutschen. Ihm folgten eine ganze Reihe von Dichtern, Philosophen und Grammatikern, die das Standarddeutsch weiter normierten bzw. perfektionierten. Das Hochdeutsch, das wir heute verwenden, ist also keine Sprache, die sich natürlich entwickelt hat, vielmehr wurde es von Akademikern über einen langen Zeitraum künstlich geschaffen. In Norddeutschland, wo vor allem Niederdeutsch gesprochen wurde, musste es von den Kindern in der Schule als Fremdsprache gelernt werden. Entscheidend zur Verbreitung des Hochdeutschen trug übrigens die Einführung des Radios bei, da dort Hochdeutsch verwendet wurde.

Spricht man in Hannover das beste Hochdeutsch?

Den Hannoveranern wird nachgesagt, das beste Hochdeutsch zu sprechen. Warum aber gilt ausgerechnet das nördlich gelegene Hannover heute als Zentrum des Hochdeutschen? Wie bereits erwähnt, sprachen die Norddeutschen Niederdeutsch und mussten Hochdeutsch als Fremdsprache lernen, dabei orientierten sie sich sehr stark an der (hochdeutschen) Schriftsprache. Außerdem war Hannover früher Sitz des Königs von Hannover. Dieses Image half dabei, den Ruf des perfekt beherrschten Hochdeutsches durchzusetzen. Vor allem gegenüber anderen norddeutschen Städten, in denen ebenfalls Hochdeutsch gesprochen wurde. Übrigens sprechen selbst die Hannoveraner kein lupenreines Hochdeutsch, denn auch ihre Aussprache ist mit etwas Lokalkolorit eingefärbt. Trotzdem sind sie sehr nahe dran am perfekt ausgesprochenen Hochdeutsch.

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