Giersch (Aegopodium podagraria)
Ein verkannter Kräuterfreund
Meine erste Begegnung mit dem Giersch war auf dem Schlachtfeld: Ich war ein Kind und das Schlachtfeld der Garten meiner Eltern. Wir lebten auf dem Land und hatten ein entsprechend großes Grundstück, auf dem sich das wilde Gewächs einfach überall ausgebreitet hatte. Wir rückten dem Feind dabei mit allem, was meinen Eltern einfiel, zu Leibe: Er wurde gejätet, ausgerissen, mit einer Mulchschicht abgedeckt und und und, doch nichts half – selbst unsere Schafe, sonst nicht als Feinschmecker bekannt, weigerten sich, den Giersch zu fressen.
Dementsprechend war meine persönliche Einstellung dem Giersch gegenüber auch eher negativ bis hin zu offen feindselig (wer als Kind mit Arbeitshandschuhen bewaffnet schon einmal hat Giersch ausreißen müssen, wird es verstehen).
Auch das Wort selbst gefiel mir nie: „Giersch“, das klingt doch, als würde die Bedeutung irgendwo zwischen ansteckender Krankheit und bösem Mathelehrer („Herr Giersch“) liegen.
Doch als die Jahre vergingen und ich begann das ein oder andere Kräuterbuch zu studieren, in dem der Giersch recht positiv dargestellt wurde, schwand langsam mein Misstrauen, die seelischen Wunden meiner Kindheit schlossen sich und ich war bereit, dem Übeltäter eine zweite Chance zu geben.
Wo wächst Giersch und wie erkenne ich ihn?
Mein altes, Giersch hassendes Ich hätte eher gefragt: Wo wächst er nicht? Doch heute weiß ich, dass auch der Giersch spezielle Anforderungen hat: So schätzt er als Standort Hecken, den Rand von Wegen und Wäldern, lichte Laubwälder oder ganz klassisch Gärten und Parks.
Verschiedene Merkmale helfen dabei, ihn zu identifizieren:
Sein Geruch ist sehr markant und erinnert stark an Petersilie oder Dill bzw. Möhre. Die Blätter sind gut zu erkennen, denn sie sind zweifach dreigeteilt, spitz, leicht behaart und gezähnt. Giersch gehört zu den Doldenblütlern und verfügt daher über die typischen weißen Blüten, die von Juni bis Juli zu sehen sind.
Leider besteht beim Giersch Verwechslungsgefahr mit einigen anderen, ähnlich aussehenden Pflanzen, dazu gehören z. B. Bibernelle und Wilde Möhre.
Aber auch Hundspetersilie oder Gefleckter Schierling weisen eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Giersch auf, und hier ist besondere Vorsicht geboten, da beide Pflanzen giftig sind.
Gefleckter Schierling verdankt seinen Namen den rötlichen Flecken am Stiel, hierdurch lässt er sich meist gut vom Giersch unterscheiden, außerdem riecht er sehr unangenehm.
Hundspetersilie wiederum kann man anhand der Blätter vom Giersch unterscheiden, diese sind sehr viel feiner gefiedert als die des Gierschs. Auch mit Bärenklau besteht eine Verwechslungsgefahr, die Blätter sind bei diesem allerdings anders geformt und außerdem ist der Geruch der Pflanze stechend.
Junge Holunderblätter besitzen ebenfalls eine gewisse Ähnlichkeit mit Giersch und sind giftig, die beiden Pflanzen kann man allerdings mithilfe des Stiels auseinanderhalten, denn dieser ist beim Giersch dreieckig, außerdem hat Holunder nicht den typischen „Gierschgeruch“.
Leider wachsen solch giftige Doppelgänger gern mal inmitten des Gierschs, deshalb sollten Sie stets aufpassen und bei Unsicherheit die Pflanzen lieber stehen lassen.
Normalerweise würde ich immer dazu raten, Pflanzen, die man gerne mag und pflückt, im eigenen Garten anzusiedeln, beim Giersch möchte ich allerdings eher davon abraten, denn einmal angepflanzt, wird man ihn nicht so schnell wieder los. Außerdem besteht dann die Gefahr, dass er es sich auch im Nachbargarten gemütlich macht, was wiederum zu einer neuen Folge „Tatort Gartenzaun“ führen könnte.
Leckeres aus Giersch
Giersch schmeckt nicht nur gut, sondern ist auch reich an Nährstoffen, Vitamin C und Vitamin A sowie wichtigen Mineralstoffen. Verwenden lassen sich sowohl Blätter als auch Blüten und Samen. Das Pflänzchen ist dabei ein kleiner Alleskönner und sehr vielseitig einsetzbar:
Die jungen Blätter kann man roh als Salat oder im Kräuterquark verwenden. Weitere Möglichkeiten, den Giersch einem schmackhaften Zweck zuzuführen, sind als Belag auf der Pizza, in der Sauce, im Rührei oder Bauernfrühstück oder ganz klassisch als Pesto. Besonders lecker ist auch der „Gierschspinat“, den man z. B. zu Kartoffeln oder Nudeln servieren kann. Auch als Füllpflanze im selbstgemischten Kräutertee ist die Pflanze prädestiniert. Dies ist nur eine kleine Auswahl der Optionen, die der Giersch in der Küche bietet. Durch seine Vielseitigkeit regt er wildes Herumprobieren an und der Kreativität sind dabei so gut wie keine Grenzen gesetzt.
Das Haltbarmachen ist dabei relativ simpel, denn Giersch lässt sich wunderbar trocknen.
Auch überwiegend „vegane“ Haustiere wie Kaninchen, Meerschweinchen oder, wie ich aus eigener Erfahrung sagen kann, Farbmäuse schätzen übrigens das Kräutlein und freuen sich, im Gegensatz zu Schafen, über das ein oder andere Blättlein auf dem Speiseplan.
Heile, heile macht der Giersch
Spätestens nach dieser Information war ich vom Giersch überzeugt: Wussten Sie, dass er traditionell als Heilpflanze verwendet wird und wurde? Ziemlich cool, muss ich sagen. Früher wurde er u. a. bei Rheuma und Arthritis angewendet. Dass er gegen Gicht helfen soll, trägt der Giersch bereits in seinem Namen („podagraria“), denn „podagra“ bedeutet „Fußgicht“ und „podager“ bezeichnet den Gichtkranken, wie mir mein altes Latein-Wörterbuch verrät. Um sich hier Linderung zu verschaffen, soll man den Giersch beispielsweise als Badezusatz verwenden können. Auch bei Verletzungen der Haut, etwa durch Insektenstiche oder Sonnenbrand, soll eine Auflage aus zerriebenen Blättern Abhilfe schaffen.
Außerdem soll die Pflanze bei Blasenentzündung und Erkältungen helfen, beispielsweise als Giersch-Tee. Dieser soll darüber hinaus sogar blutreinigend wirken.
Falls Sie, so wie ich, dem Giersch gegenüber, vorsichtig ausgedrückt, etwas voreingenommen waren, hoffe ich, dass Sie dieses ausbreitungsfreudige Wildgemüse nach der Lektüre dieses Artikels vielleicht mit anderen Augen sehen.
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* „Der Unterschied zwischen dem beinahe richtigen Wort und dem richtigen ist derselbe wie zwischen einem Glühwürmchen und einem Blitz“ – Mark Twain